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Kapitel 14 überarbeitet 14. Schnaps oder trinken ist meine Privatangelegenheit Kaum ist Anna seit drei Stunden wieder zuhause, klingelt ihr Telefon. „Annalein, ich bin traurig Du bist wieder weg. Das ist schlimm für mich. Ich brauche eine Freundin, die in meiner Nähe wohnt. Ich kann das nicht, immer nur Abschied von dir. Wann ziehst du her zu mir Ich hab’s dir gleich gesagt, dass ich keine Fernbeziehung will“ sagt er. „Tissy, was ist los mit dir Trinkst du“, fragt sie. „Ja“, gibt er ohne Scham zu. „Es ist gerade ein paar Stunden her, dass ich gefahren bin, kannst du nicht mal ein paar Tage durchhalten, ohne zu trinken“ „Nein. Das ist meine Sache, das geht dich gar nichts an, was und wie viel ich wann saufe und wann ich mich abschießen muss. Das verstehst du nicht“ Er ist sehr ärgerlich. „Dann erkläre es mir, dann verstehe ich es vielleicht Wir können Tage zusammen sein, und du rührst keinen Alkohol an. Nicht einen Tropfen. Kaum bin ich weg, säufst du wieder.“, meckert Anna. Sie hört Schluckgeräusche am anderen Ende. Sie kennt sein Trinkverhalten genau, er hat es ihr irgendwann erklärt Er beginnt mit billigem Fusel in Orangensaft. Zwei, drei Gläser trinkt er langsam aus. Danach setzt er die Flasche an und lässt sich den Wodka direkt in die Kehle laufen. Sie schätzt, er ist jetzt beim letzten Drittel purem Wodka angekommen, denn er beginnt, schwer verständlich zu sprechen. Wenn er fast die zweite Flasche in sich hat, versteht sie kein Wort mehr. Aber so weit ist Tissy heute noch nicht. „Mausiges … Hüpfilein … Springli … weißt Du, was ich mache, wenn du weg bist“, fragt er. „Saufen“, sagt Anna trocken. „Nein. Wenn ich dich zum Auto gebracht habe, gehe ich sofort zum Bett und streichle die Decke, unter der du gelegen hast. Oft nehme ich dein Nachthemd, rieche deinen Duft und dann lege ich es über mein Kopfkissen. Dann schlafe ich besser und denke, du bist bei mir.“ „Du meine Güte, was bist du bloß für ein Romantiker“ „Ja“, lacht er und sagt „Ich liebe deine Zahnbürste Jedes Mal, wenn ich ins Bad gehe, sehe ich deine Zahnbürste neben meiner und denke »Sie kommt bald wieder«. Manchmal streichele ich über die Borsten und freue mich einfach nur. Wenn deine Bürste einmal nicht mehr da ist, dann kommst du nicht mehr, das weiß ich genau. So ist das immer, wenn Frauen gehen, geht auch die Zahnbürste.“ „Ach, Tissy Ich heule gleich“, antwortet Anna ich „Hab‘ dich lieb, meine Maus. Kannst du am Donnerstag kommen und bis sonntags bei mir bleiben“ „Wieso sollte ich das tun Ich habe dir doch vorhin erst gesagt, ich muss viel arbeiten in der kommenden Woche und kann frühestens in zehn Tagen kommen“ „Es ist aber sehr wichtig für mich. Anna. Ich brauche dich am Freitag an meiner Seite, sonst schaffe ich das nicht.“ Dann erfährt sie, warum ihre Anwesenheit noch einmal so nötig ist Tissy ist vorbestraft. „Auch das noch Reicht es nicht, dass er säuft, tablettenabhängig ist, niemals schlafen kann, arm ist, seit Jahrzehnten nicht arbeitet und kaum vor die Türe geht Kaum etwas unternehmen kann, was normale Menschen so tun Nein, das reicht nicht Das darf doch nicht wahr sein“, denkt Anna entsetzt. Dann hört sie seine Version der Geschichte Wenn er trinkt, erzählt er, dann kommt sein „Bruder“« zum Vorschein. Sein „Bruder“« ist ein ziemlicher Idiot. Sein „Bruder“« muss noch einmal durch die gesamte STASIZeit torkeln in seinem Hirn. Sein „Bruder“« erlebt alles Leid seines Lebens in wenigen Tagen, er bringt alle Verletzungen nach oben. Er ist immer durstig, schluckt alle Vorräte weg. Und dann wird es heikel. Denn dann kommt der Punkt, an dem er für Nachschub sorgen muss. Oft ist das nachts der Fall, manchmal auch tagsüber. Ist es Nacht, dann wird es schwierig, dann muss er mit einem Taxi in die nächste Stadt fahren. Er lässt den Fahrer an einer Tankstelle halten, steigt an der ersten Tankstelle aus klaut Schnaps und rennt weg. Anna ist fassungslos, das zu hören. Bevor sich sein „Bruder““ auf den Weg macht, um neue Vorräte zu organisieren, hat Tissy oft zwei Tage und Nächte weder geschlafen noch gegessen. Denn so viel Schnaps ist immer im Haus, dass er problemlos zwei Tage durchtrinken kann. Wenn der „Bruder““ schließlich losgeht, hat er Tissy im Schlepptau geschwächt, mit ordentlich Promille im Blut, übermüdet und aggressiv. Die Straße wird dann zu seiner Bühne. Er pöbelt aggressiv jeden an, der ihm entgegenkommt, benimmt sich wie ein schreiender Irrer, oder tanzt ausgelassen nackt im Marktbrunnen. Manchmal kassiert er Prügel oder teilt welche aus. Das hängt ganz von seiner Stimmung ab. Im Oktober des vergangenen Jahres ist seine Stimmung besonders schlecht. Am Mittag legt er sich mit einem „Penner“ vor einem Supermarkt an. Eigentlich will er nur jemanden, mit dem er über die StasiZeit reden kann. Doch der Obdachlose war von ihm genervt. Einige Monate später fand die Verhandlung zu dieser Auseinandersetzung statt. Der Richter zeigte Milde, weil Tissy eine schwierige Vorgeschichte hat. Drei Jahre Bewährung und regelmäßige Termine bei einer Bewährungshelferin wurden ihm auferlegt. Verstößt er gegen die Auflagen, drohen ihm neun Monate Haft. Doch Tissy empfindet diese Pflicht, eine Bewährungshelferin an der Seite zu haben, als Unverschämtheit. Ihn, einen bisher unbescholtenen Bürger, zu so einem BullenLiebchen zu schicken, das hält er für eine Zumutung. Er braucht sie nicht. Dennoch steht am kommenden Freitag der erste Termin bei ihr an. Anna fährt an diesem Tag zu ihm, sie schafft es nicht, ihn allein zu lassen und ärgert sich darüber «Das ist das erste und letzte Mal, dass ich mich in seine Gerichtsgeschichte so tief hineinziehen lasse. Noch einmal so ein Mist und ich bin weg«, schwört sie sich selbst während der langen Fahrt zu ihm. Vor dem Termin ist Tissy vollkommen durcheinander. Jeden einzelnen Schritt der Körperpflege muss Anna ihm vorbeten. Pünktlich stehen sie vor der Tür der Bewährungshelferin. Bevor sie anklopfen, sagt Tissy „Ich rede. Ich kann das. Du brauchst nichts zu sagen. Es ist gut, dass du da bist, das macht mich stark. Danke.“ „Ist in Ordnung“, sagt Anna erstaunt, denn damit hat sie nicht gerechnet. Chris schafft es, die junge, hochgewachsene und bildhübsche Frau innerhalb weniger Minuten für sich einzunehmen. Mit einer Mischung aus jungenhaftem Charme, männlicher Coolness, einem Hauch von Reue und Verzweiflung, sowie seinen beeindruckenden Augen und einem scheuen Lächeln wickelt er sie spielend ein. Nach einer Stunde scheint die Bewährungshelferin bereit zu sein, für Tissy alles zu tun. »Vielleicht würde sie sogar die nächste Tankstelle überfallen, um ihm Schnaps zu besorgen«, denkt Anna. In dieser kurzen Zeit wird die Bewährungshelferin zu „Bonny“ und Tissy zu „Clyde“. Er schießt und sie fährt den Wagen. So schnell geht das im Kontakt mit ihm. Faszinierend. Anna sitzt herum wie eine Zierde und sagt gar nichts. Die Bewährungshelferin klärt Tissy auf „In den nächsten drei Jahren dürfen Sie sich absolut nichts zu Schulden kommen lassen. Ich verstehe, dass Alkohol für Sie die einzige und wahre Medizin ist. Das ist in Ordnung. Aber Sie dürfen auf keinen Fall betrunken auf die Straße gehen. Besaufen Sie sich bitte nur in Ihrer Wohnung Sorgen Sie dafür, dass Sie immer genügend Vorräte haben, denn das scheint ja Ihr Problem zu sein. Sollten Sie gegen die Auflagen verstoßen oder neue Anzeigen bekommen, sitzen Sie entweder im Gefängnis oder landen in der geschlossenen Psychiatrie, das hängt vom Richter ab. Melden Sie sich sofort, falls etwas passiert“ Tissy verspricht „Ich werde brav sein und nur in meiner Bude trinken“ Wahrscheinlich glaubt er in diesem Moment selbst an sein Gelübde. Als sie das Gebäude verlassen, murmelt Tissy „Scheiße. Ich habe die nächste Anzeige schon vor zwei Wochen im Briefkasten gehabt. Habe mich aber nicht getraut, der Tussi das gerade zu sagen.“ Nach dieser bemerkenswerten Mitteilung von enormer Bedeutung, für seine und ihre Zukunft, setzt Anna sich auf die Steintreppe vor dem Gebäude in die goldene Oktobersonne. Mit zitternden Fingern zündet sie sich eine Zigarette an, starrt vor sich hin, unfähig, diese Nachricht schnell zu verdauen. Auch Tissy schweigt. Schließlich stöhnt Anna zwei Worte »Drei Jahre«